Adolf Wilbrandt


A
Adolf Wilbrandt
dolf Johann Albrecht Friedrich Enoch von Wilbrandt (* 24. August 1837 in Rostock; † 10. Juni 1911 ebenda) war ein deutscher Schriftsteller und Direktor des Burgtheaters in Wien.






An Julia.


   Ach, wer wagt Dich festzuhalten,
Die der Muse Flügel tragen?
Du beginnst sie zu entfalten,
Und entschwunden bist Du schon.
Und in neckischer Verwandlung
Spielst Du mit den flücht'gen Tagen,
Neu und fremd in jeder Handlung,
Wie gefunden, so entflohn.

   Sprich: kannst Du zu jeder Stunde,
Wie die  F o r m, auch  D i c h  vertauschen?
Schwebt auch über schwankem Grunde
Der gespielte Gram und Scherz?
Und im Wechsel der Gestalten,
In der Leidenschaften Rauschen
Spür' ich nicht dasselbe Walten,
Fühl' ich nicht dasselbe Herz?

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 88, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Flügelbote.


   Süß wie Liebe duftest Du,
Frisch vom Zweig gebrochne Rose!
Ach, wie send’ ich, Flügellose,
Dich der Allerliebsten zu?
Schwing’ Dich auf wie Deine Muhmen,
Knospen einst im Paradies,
Wie die bunten Flügelblumen,
Die der Herr entflattern ließ!

   Rosenfarbner Schmetterling
Flatt’re, ihr an’s Herz zu fliegen!
Sie, mit jauchzendem Vergnügen,
Hascht nach diesem seltnen Ding.
Greifen will sie Dich, die Lose,
Du verwandelst Dich im Nu,
Und an ihrer Brust als Rose
Duftest Du ihr Liebe zu!

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1869 Band 4, Seite 451, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Frühlingsgruß.


   Es steigt der Saft im Baum,
Die Birke will schon thränen;
Der Drossel Morgentraum
Erklingt in tiefen Tönen;
Auf silberblauem Grund
Die sammtnen Wolken ziehn,
Roth blüht Deines Liebsten Mund, —
Und Du, versäumst Du ihn?

   Die warmen Lüfte gehn,
Die Brust Dir zu umfließen,
Die ersten Düfte wehn,
Die ersten Blätter sprießen;
Ich lebe, ach, so gern,
und lebe nur für Dich, —
Und Du, geliebter Stern,
Warum verhüllst Du Dich?

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1869 Band 4, Seite 85, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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In der Nacht.


Einsame Sehnsucht!
   Ob auch der goldene Tag Dich kennt?
Der mit seinen Rosenflügeln
Deine Gluth umfächelt,
Ueber die sonnige Erde hin
Dein Aug’ zerstreut,
Mit süßem Sängerchor
In Feld und Busch
Dich zum Leben ruft,
Zur Wehmuth bändigt!

   Ach, er kennt Dich nicht,
Der goldene Tag!
Doch wenn Du im tiefen Schooß
Der  N a c h t  erglühst,
Mit brennenden Augen
Aus dem Dunkel seufzest,
Und über Dir
Der mitleidlose Schlaf
Ungreifbar schwebt,
Ein ruhlos Schattenbild,
Ueber die müden, wunden Lider schreitend!
Bange Stille so rings umher,
Und im Busen so laut, so laut
Einsame Sehnsucht!

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band IV, 1869, Seite 660, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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