Rudolf Gottschall
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Harzbilder.
Mit den beiden folgenden Gedichten geht Rudolf Gottschall auf zwei geologische Formationen im Harz ein. Die Baumannshöhle, eine Tropfsteinhöhle, ist die älteste Schauhöhle Deutschlands; sie liegt neben der Hermannshöhle in Rübeland. Der Bodekessel ist ein kleine Wasserfall in der Bode; er befindet sich im unteren Teil des Bodetals westlich des Rosstrappenfelsens und nur wenige Schritte von der Teufelsbrücke entfernt.
Baumannshöhle.
Steinkön’gin auf dem Felsenthrone,
Du sitzest seufzend tiefgebückt,
Auf Deinem Haupt die schwere Krone,
Die wachsend deine Stirne drückt.
Es folgt Jahrtausend auf Jahrtausend,
Dir bleibt das gleiche Loos verhängt!
Kein Sturm, der durch die Tiefen brausend
Den öden Felsenkerker sprengt.
So mußt du ewig einsam weinen,
In sternenleerer Nacht allein;
Doch deine Thränen selbst versteinen
Und endlich wird dein Herz zu stein.
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Bodekessel.
Sie steigt empor aus ihrem Grabe,
Die feuchten Schleier weh’n im Wind;
Sie winkt mit ihrem Zauberstabe,
Ein wildes räthselhaftes Kind.
Vergraben hier in diesen Schlünden
Bin schauernd ich mit dir allein;
Willst du die seltnen Bilder künden,
Die du gemeißelt in’s Gestein?
O das Vergangne wecke nimmer,
Auf ewig sei’s zu Stein erstarrt!
Es lockt, im Aug’ den feuchten Schimmer,
Zu sel’gem Glück die Gegenwart.
Dein Zauber winkt mir nicht vergebens,
Wir sind durch Schicksalsschluß vereint!
Denn auch die Räthsel meines Lebens
Sind längst in dieser Brust versteint.
Wie schäumt die heiße Jugend wieder,
Die einst der Felsen Trotz bezwang!
Es brausen deine wilden Lieder,
Und jede Welle wird Gesang.
O träumerisches Weltvergessen!
Ihr Felsen, deckt des Himmels Licht!
Es ist ein Himmel unermessen,
Der aus der Nacht der Tiefe bricht.
So schlinge mich der Abgrund nieder,
Begrab’ mich die empörte Fluth!
O nimmer kehrt in’s Leben wieder,
Wer einst in deinem Arm geruht!
Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band IV, 1869, Seiten 671-672, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig
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Paris
Ein Sonettenkranz
1.
Sei mir gegrüßt, Paris, zum dritten Male!
Um den Montmartre schwere Wolken nachten,
Ein Wetter brütet auf der Stadt der Schlachten
Und um die Thürme glüht der Schein, der fahle!
Anklopft der Himmel selbst mit seinem Strahle,
Müd sind die Geister jetzt, die überwachten!
Am Ruhebett, dem rosenüberdachten,
Kredenzt die Lust die schäumenden Pokale.
Und keine Antwort wird dem kühnen Frager!
Mit schweigen nimmt die Blitzeschwingerin
Den Flammengruß der Wetterwolken hin.
Denn Frankreich ist in der Cäsaren Lager:
Hier blitzt nur Sporn und Säbel der Cohorten,
Und Feuerschlünde wachen an den Pforten.
2.
Begraben liegt das hundertthor’ge Theben,
Verschüttet Memphis tief im Wüstensande,
Und wie hinweggezehrt vom Sonnenbrande
Erstirbt der Völker tausendjähr’ges Streben.
Wie stolz sich Kuppeln hier und Säulen heben,
Auch sie versinkt, die Herrscherin der Lande!
Nur Staub und Moder bleibt vom Prachtgewande,
An dem die ems’gen Millionen weben.
Und ein Sesostris hat auf gold’nem Wagen
Von neuem durch die Welt den Sieg getragen!
Der Völker Blut troff von des Rades Speiche.
Doch den Zermalmer überwund’ner Reiche
Zermalmt die Zeit; der Wand’rer später Tage
Gräbt aus dem Schutt einst die verscholl’ne Sage.
3.
Die Obelisken und die Siegesbogen,
Die Säulen, Tempel, Dome sind zerfallen;
Hier steht ein Eckstein nur von stolzen Hallen,
Die Mauer dort, von Epheu überzogen.
Die Trümmerstatt, vom Geierschwarm umflogen,
Läßt hier den Ruf der Wildniß nur erschallen.
Von Gruft zu Gruft gleich müden Pilgern wallen
schwermüthig trüb der seine gelbe Wogen.
Und späte Weisheit mißt die ries’ge Strecke,
Hier von der Königssäule Trümmerresten
Dort zum verfall’nen Bogen hoch im Westen;
Und Münzen blinken aus verlorner Ecke,
Cäsarenhäupter mit vergilbter Krone —
Das rost’ge Antlitz der Napoleone.
4.
Das ist ein Viereck, riesig, sonder Gleichen!
Die Fronten dehnen sich nach jeder Seite;
Mit alter Pracht liegt neuer Prunk im Streite,
Vor ihrer Hoheit muß sein Pomp erbleichen.
Die neue Herrschaft schmückt mit ihren Zeichen
Die stolzen Hallen, die sie prahlend weihte,
Daß todter Stein ihr den Triumph bereite,
Den Königen die Bruderhand zu reichen.
Der Louvre hier und dort die Tuilerien!
Wie ragen rings die Säulen und Portale,
Die Ballustraden, Nischen, Ehrenmale!
Und doch, wenn nächt’ge Schatten sie umziehn,
Scheint mir die Riesenburg ein Schloß der Todten,
Ein Mausoleum östlicher Despoten.
5.
Die Sonne brannte heiß auf den Terrassen,
Auf weiten Forsten brütend lag die Schwüle;
Nur goldne Fischlein freuten sich der Kühle
Im Teich, den Blumen schnurgerecht umfassen.
Es lauschten der Musik des Volkes Massen
Sonntäglich bunt in drängendem Gewühle;
Ich aber, mit prophetischem Gefühle,
sah dieses Schloß von Glanz und Macht verlassen.
Da klang, ein Leichenmarsch, mir die Fanfare!
Hier stand ein Papst gefangen am Altare,
schmach deckt die Krone hier wie die Tiare.
Fontainebleau, der Garde Fahnen flattern,
Des Ruhmes Träger werden zu Bestattern!
Es geht zum Grab aus dieses Schlosses Gattern.
6.
Bacchantin Du mit Cymbeln und mit Kränzen,
Wie drehst Du Dich, Paris, in wildem Reigen,
Erschreckst der Mondnacht sommerliches Schweigen
Mit wüstem Lärm, mit fessellosen Tänzen!
Verheißungsvoll die Feueraugen glänzen,
Das ist ein Schweben, Winken, üppig Neigen!
Es muß die Reize, die sich lockend zeigen,
Verschwieg’ner Reiz mit Zauberkraft ergänzen.
Und wilder braust’s, ein jedes Glied ist trunken!
Ein Fleischgeword’ner Rausch sind diese Weiber;
O Taumelfest der engverschlung’nen Leiber!
In dichtem Schleier ist der Mond versunken!
Was soll sein schamhaft Licht dem neuen Babel?
Hier herrscht Astarte und die wüste Fabel.
7.
Das ist ein Tanz für Larven, Nachtgestalten,
Wenn sie hinweggewälzt die Leichensteine,
Ein Schattentanz für schlottrige Gebeine,
Der Glieder wirft, die nicht zusammenhalten.
Da darf ein jedes ungebunden Schalten;
Das eine frägt nicht, was das andre meine;
Kaum fügt sich alles wieder zum Vereine,
Legt mit dem Kleid sich in die rechten Falten.
Ein Suchen, Fliehn mit zappelnden Gelenken,
Hohn jeder Gruß und jedes Gliederschwenken —
Das taumelt weiter mit gespenst’ger Hast.
Sie könnten sich zum Zeitvertreib bequemen
Die Köpfe von den Schultern sich zu nehmen, —
Das wär’ ein Ballspiel, das zum Tanze paßt!
8.
Du holdes Kind, Du brauchst kein Zauberlicht,
Wie’s hier der Blumen und der Matten sammt
Aus hundert Ampeln blendend überflammt;
Mit eig’nem Zauber glänzt Dein Angesicht.
Nur heit’re Lust aus Deinen Zügen spricht,
Wie sie aus unschuldsvollem Herzen stammt;
Und doch — zu welchem Loos bist Du verdammt!
Du blühst am Pfad, wo Dich die Sünde bricht!
Ich sehe Dich auf stolzem Siegeswagen,
Vom schnaubenden Gespann dahingetragen,
Ein Blitz der Demant und des Auges Strahl;
Doch dann, zerlumpt und bleich, in Noth und Qual,
Das Kreuz im Herzen und in Deinen Händen,
Im Krankenbett der frommen schwestern enden.
9.
Du warst geschaffen, friedlich zu beglücken,
Im stillen Häuschen rebenübersponnen,
Im trauten Schatten, vor dem Brand der Sonnen
Geschützt und vor der Welt und ihren Tücken.
Dort würdest Du dem Einen Blumen pflücken,
Dem Einen nur gehörten alle Wonnen;
Nicht mit dem Tag geboren und zerronnen,
Nicht flücht’ger Taumel wäre das Entzücken.
So stand’s in Deines Lebens Buch geschrieben
Und vorbestimmt war Dir ein friedlich Lieben;
Doch seine Blätter hat der Sturm verschlagen.
Und willst Du heimwärts eine Rose tragen —
Dir fehlt der frische Thau, sie zu besprengen!
Am Morgen schon läßt sie das Köpfchen hängen.
10.
Das ist die engste fast der engen Gassen!
Wie düster hier die ruß’gen Häuser ragen!
Hier drängte sich das Volk in frühern Tagen,
Jetzt ist sie still, vom Lärm der Welt verlassen.
Ein wildes Fieber bannte hier die Massen;
Jetzt hat der Börse Spiel und kühnes Wagen
Den Thron im Licht der Sonne aufgeschlagen,
Da muß die Rue Quincampoix erblassen.
Wo steht die Säule, die den Meister ehre,
John Law, den Ahn der Morny und Pereire?
In den Lagunen ruht sein einsam Grab!
Doch schwingt sein Geist den alten Zauberstab,
Und aus den Runen der papiernen Vließe,
Da wachsen Höllen noch und Paradiese.
11.
O Louisiana, fernes Wunderland,
Du warst des gier’gen Strebens Preis geworden,
Als an des Riesenstroms einsamen Borden
Die Drachensaat papiernen Trugs erstand.
Doch damals griff die beutelust’ge Hand
Noch nicht zum Schwert zu rauben und zu morden;
Es war ein Friedenszug geworbner Horden,
Kein Kriegeszug mit der Zerstörung Brand.
Jetzt rückt des Trugs Sternbild nach Süden vor;
Des Schwindels Geist vermag den Krieg zu wecken,
Puebla’s Flammen, Queretaro’s Schrecken.
Ein Kaiser fällt, der Kron’ und Haupt verlor,
Um ihn verheerter Länder furchtbar Schweigen —
Nur die Gewinne der Gewalt’gen steigen.
12.
Die Bäume röthen sich im Sonnenbrande,
Schwindsücht’ger Hauch muß ihren Glanz umfloren;
Schon schwingen sie des Herbstes Tricoloren
Und tragen noch des Sommers Festgewande.
Des Todes Odem weht durch diese Lande,
Welt Geist und Herz, in wildem Rausch verloren;
Und Frankreichs stern, zum höchsten Glanz erkoren,
Neigt Sich erbleichend an des Himmels Rande.
Die Völker fallen und die Völker Steigen.
Auf, deutsches Volk, So führe Du den Reigen!
Erlkönigs Krone hier Soll Dich nicht Schrecken;
Sie ist ein Nebelstreif auf Weidenzweigen.
Tannhäuser Schläft in üpp’ger Lust Verstecken;
Des ein’gen Deutschlands Jubel wird ihn wecken.
Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band III, 1869, Seiten 149-154, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig