Herrmann Lingg


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Herrmann Lingg
ermann Lingg (auch Herrmann Lingg), ab 1890 Ritter von Lingg, (* 22. Januar 1820 Lindau; † 18. Juni 1905 München) war ein deutscher Dichterarzt. Als Lyriker und Epiker schrieb er Balladen, Dramen und Erzählungen.





Astorga.


Als Vorlage zu dieser Ballade diente die romantische Oper Astorga in drei Akten von Johann Joseph Abert nach einem Libretto von Ernst Heinrich Anton Pasqué (nach Episoden aus dem Leben des Komponisten Emanuele d’Astorga). Die Uraufführung der Oper fand am 27. Mai 1866 in Stuttgart am Hoftheater statt. Die deutsche Erstaufführung erfolgte1866 Leipzig. Diese Ballade veröffentlichte Herrmann Lingg 1869 im Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft.

Astorga.

Verklungen war im hellen Opernsaal
Der Strom der Töne, Alles lauschte
In Schweigen nach, es war als rauschte
Ein Echo noch durch jede Brust dem Strahl
Der Sonne gleich, die, schon geschieden,
Noch einmal aufzuleuchten scheint,
Und alles fühlte sich in diesem Frieden
Mit ganzer Seele still vereint.
Die Lichter flammten hoch empor,
Als suchten sie sich nachzustrecken,
Um von den Stimmen aus dem Chor
Noch einen letzten Klang zu wecken.
Von draußen in die lichten Räume
Ergossen durch die off’nen Fenster her
Orangen und Akazienbäume
Den Blüthenhauch von Düften schwer.
Versammelt war in seinem höchsten Glanz
Der Hof von Parma; Schleppen rauschten
Und eifersücht’ge Blicke tauschten
Hier Diamanten mit dem Perlenkranz,
Dort ein Rubinreif in die Fülle
Von dunklen Locken eingewiegt,
Und Feuerblicke, von der Hülle
Der schwarzen Schleier kaum besiegt.
In leisem Zwiegespräch gesellt
Sah man von Allen, die da saßen,
Nur zwei; doch diese zwei vergaßen,
So schien es, um sich her die Welt.
Des Fürsten Tochter war die Dame;
Der Cavalier? Wer war es, wußt’ es wer?
Verschollen, hieß es, sei sein Name,
Sein Stammbaum ausgelöscht, und er
Als Kind schon aus dem Vaterland verbannt.
Doch wie zum Trotz der feindlichen Gestirne
Stand, von den Besten seiner Zeit erkannt,
Der Abglanz jener selbst auf seiner Stirne.
War’s nicht ein Hohn noch zu dem herben Loos,
Daß ihm in seiner Seele Tiefen
Der Harmonien Borne schliefen;
Daß sie sein Geist dem Licht erschloß,
Zur Sinnenwelt berief, in Tönen
Herausrief an den Erdentag,
Was von dem Urquell alles Schönen
Als Theil in seinem Geiste lag? —
Noch Knabe, war er voll Begeisterung,
Den frühen Lorbeer sich zu holen,
Von einem Kloster anempfohlen,
Aus Spanien gekommen, schön und jung.
Wer mußte nicht ein Mitgefühl empfinden
Mit ihm, dem schon als Kinde, wie es hieß,
Ein Loos ward, daß davon erblinden,
Ja, sterben müßt’ die Seele; doch auf dies
War mit dem Siegel des Genie’s
Nur um so mehr das Ahnrecht eingeschrieben,
Geliebt zu werden, und so heiß und wild,
Wie kaum ein andres Menschenherz, zu lieben.
Er schien ein wunderthätig Leidensbild,
Zu dem vom Himmel mit Erbarmen
Ein Engel niedersteigt.
Und wirklich war das Fürstenkind dem Armen
Mit mehr, als zartem Mitleid nur geneigt,
Sie liebten sich, es schlug in Beiden
Bewußter Schönheit stolzes Herz,
So sollten sie den höchsten Schmerz
Inmitten eines höchsten Glücks erleiden.
Sie sprachen sich, wie sich im Morgenland
Durch Blumen, Liebende verstehen;
Und ihnen war Musik das Band,
Das, wie sie glaubten, ungesehen
Nur zwischen ihnen Beiden fortbestand.

„Ich fürchte, Mästro“, sprach sie jetzt,
„Als ihr die Saiten ließt verhallen
Nahmt ihr das Leben von uns Allen,
Und habt uns in den Tod gehetzt.
Kommt, wir versteinern sonst, ich werde singen;
Und ihr, mit einem einz’gen Bogenstrich
Könnt ihr bezaubernd neues Leben bringen
Selbst in die Schattenwelt, begleitet mich!“

Er faßte wie im Traum die Hand,
Die sie ihm bot; ein Triumphiren,
Ein glühend Insichselbstverlieren
Flog über sein Gesicht hin, und verschwand
So schnell, daß unter Allen in dem Saal
Nur ein Blick diesen Zug bemerkte,
Und einen Argwohn rasch bestärkte,
Der längst schon in des Fürsten Brust sich stahl.

Sie sangen, und es war als suchten sich
Aus weiter Ferne beider Stimmen,
Und suchten sehnsuchtsvoll emporzuklimmen
In Höh’n, wo jeder Raum der Erde wich.
Dann jubelnd über Sonnenhügeln
Erreichten sie sich, um vereint herab
Zu stürzen mit den Feuerflügeln
In tiefe Dunkelheit, in Nacht und Grab.

Astorga sieht zum Fürsten sich beschieden,
Als kaum verhallt des Liedes letzter Klang
Und dieser sagt: „Ich bin mit Euch zufrieden,
Ich folgte, hoff’ ich, dem Ideengang
In Eurem Tonstück, aber eins, mein Bester:
Ihr habt zu hoch gesetzt; ich fürchte nur
Ihr braucht ein größeres Orchester,
Ihr müßt nach Wien, dort lernt ihr Partitur.
Ein Reisewagen steht bereit,
Es werden meine Diener sorgen,
Daß ihr bis zu dem nächsten Morgen
Nicht mehr an unsrem Hof von Parma seid.
Lebt wohl!“ und ihm mit kaltem Gruße nickend,
Am Arm sein Kind verläßt der Fürst den Saal.
Ein letzter Blick, ein Sonnenstrahl,
Aus dunkler Nacht durch Thränen blickend
Gab ihm noch, und mit mehr als Worte fassen,
Das süßeste Geständniß kund,
Dann ward es todtenstill um ihn, verlassen
Und einsam steht er in des Saales Rund,
Und hört nur krampfhaft, unterbrochen
Sein Herz in lauten, raschen Schlägen pochen.
„So wars ja“, rief er aus, „von Anfang an,
Ich müßte mich in meinem Schicksal irren,
Hört’ ich auf meiner dunklen Erdenbahn
Nicht ewig hinter mir das Eisen klirren,
Das Henkerbeil! von jedem Lebensglück,
Von Ruhm und Ehre mit der Hölle Spott
Jagt mich’s hinweg, und zeigt zurück
Auf jenen Jammertag, wo vom Schaffott
Mich anstarrt meines Vaters Haupt;
Ohnmächtig mich an Dem zu rächen,
Der ihn ermorden ließ; beraubt
Der Hoffnung, je den Namen auszusprechen,
Der unser alt Geschlecht bezeugt,
Vermag ich nichts, als ihm zu fluchen
Und in dem Trotz, der sich den Höfen beugt,
Den Stolz und Ingrimm zu verbergen suchen.
Wie glühend auch sich oft das Herz empört
Beim Beifallklatschen und den Lobesspenden,
Wenn man den Künstler gnädig angehört,
Um ihm darauf den Rücken zuzuwenden.
Dann fühl’ ich, wie es kocht in mir und wallt,
Und unwillkürlich meine Faust sich ballt,
Daß ich nach meinem Degen fasse,
Um sie zu lehren, daß ich hasse, hasse!
Doch wie mein Haß so heiß, doch mehr noch mächtig
Ist auch —“ er sprach nicht aus das Wort,
Und durch den Garten hin, durch mächtig
Gesträuch und Labyrinthe stürzt er fort;
Dann öffnet er zur fürstlichen Kapelle
Die Thüre, tritt zur Orgel hin,
Und ruft in Riesentönen, Well’ auf Welle
Aus ihrem Grund in vollen Melodie’n.

Noch ist es Nacht, und durch die Fensterscheiben
Blitzt hell das Sternenlicht, an dem
Gewitterwolken schwer vorübertreiben,
Wie Sorgen um ein strahlend Diadem;
Und vor Astorga’s Blicken taucht
Sein Vaterland empor, Trinakria,
Vom Licht der Fee Morgana überhaucht.
An blauer Meerbucht liegt es vor ihm da,
Voll Sonnengluth und Mittagsstille,
Ein Friedensbild der ältesten Idylle,
Mit Hirtenflöten, mit Gesang und Tanz,
Und heitrer Villen Marmorglanz;
Terrassen, Statuen darüber her,
Aus Gärten dunkelnd, blüthenschwer,
Orangenwälder, Pinien, Lorbeerbäume;
All’ dies und längst versunk’ne Träume
Der Kinderjahre stellen sich ihm dar.
Ein schmerzlich Sehnen wogt in seiner Brust,
Die Qual der höchsten Lust,
Und jene Schwermuth, welche nur im Grunde
Der Freude lauert. Endlich tritt die Stunde,
Das Bild des größten Schmerzes tritt vor ihn
Im gleichen Augenblick, da wie ergänzend
Der Morgenstrahl durchs Fenster glänzend
Das Stabat Mater am Altar beschien.
Wir hier beim Kreuz die Mutter Gottes,
So sah er seine Mutter einst im Schmerz vergeh’n,
Von Henkern hingehalten, steh’n
Am Fuße des Schaffottes,
Auf dem sein Vater starb; ein Orgelklang
So herzzerreißend wie sein Schmerz ertönte,
Als ob ein Schrei aus tiefstem Busen drang,
Und laut aufgellend in die Nacht verstöhnte.

Die Hand noch auf den Tasten, stund der Meister,
Als gegenüber an der Wand
Ein Vorhang, leise wie durch Macht der Geister,
Von unsichtbarer Hand
Zurückgezogen ward, zugleich
Im Betstuhl eine kniende Gestalt
Das Haupt erhob, und todtenbleich
Zum letzten Gruß sich still verneigte,
Indem sie auf das Bild des Altars zeigte.

Als wankend und verstört die Schwelle
Des Heiligthums Astorga überschritt,
Verbeugten Herrn und Damen sich zur Stelle.
Er sah es nicht, es war ja, was sein Inn’res litt,
Zu groß für jede Rache, jeden Spott;
Ihm war, als stieg er selbst auf ein Schaffott.
Nur einen Blick war ihm gegönnt, zurück
Zu werfen noch auf all sein Erdenglück,
Auf Alles was ihm hold gewesen; dann
Flog mit ihm fort das brausende Gespann.

München, September 1868.

Herrmann Lingg.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band 3, 1869, Seiten 38 – 42, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Auf der Höhe.


Ja, einmal nimmt der Mensch von seinen Tagen
Im Voraus schon des Glückes Zinsen ein,
Und spricht, ich will den Kranz der Freude tragen,
Mag, was darauf folgt, nur noch Asche sein!
Den vollen Becher! Laß uns Alles wagen!
Ja, einmal will ich auf den Mittagshöh’n
Des Lebens steh’n und dann am Ende sagen:
   Wie war der Traum so schön!

Wie war der Traum so schön! Da wir uns liebten,
Da blühten Rosen um den Trauerzug,
Im Schaum der Tage, die sonst leer zerstiebten,
War eine Perle reich und stolz genug. —
Ich will den Arm um Deinen Nacken schlingen
Und durch die Ferne der Erinn’rung tön’:
Kann keine Zeit das Glück uns wiederbringen,
   Wie war der Traum so schön!

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band V, 1870, Seite 448, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Selbsterwähltes Loos.


Ich danke Gott, daß ich nicht wohlverwahrt
Wie Jene bin, die stets verschont geblieben
   Im Leben, wie im Lieben,
Daß keinen Schmerz das Schicksal mir erspart.
Erfinderisch mit ausgesuchten Qualen
Hat mich‘s verfolgt noch bis zuletzt,
Und immer dann am tiefsten mich verletzt,
Wenn‘s mir gelacht mit seinen hellsten Strahlen

Ich richte kühn mich vor den Blitzen auf,
Und sage: trefft! und zu den Stürmen:
   Laßt Eure Wogen thürmen!
Stürmt fort, rast fort, Ihr haltet mich nicht auf!
Und zu den Augen, die so stolz und groß
Mein Herz bedroh‘n mit tödtlichem Verderben,
Zu Deinen Augen sag‘ ich: schönes Loos,
Von Eurer Gluth versenkt, dahinzusterben.

Hermann Lingg.


Quelle des Gedichtes: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band V, 1870, Seite 560, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Passionsblume.


Ueber der Menschheit Stirne gesenkt
Wölbt sich ein Schatten der tiefsten Trauer,
Wenn der vergangenen Zeit sie gedenkt
Und der begangenen Frevel mit Schauer.

Wie viel schuldlos Ermordete steh'n,
Wie viel gekreuzigte Zungen der Wahrheit
Unten in Nacht, und wir, wir geh'n
Oben in Licht und in freudiger Klarheit!

Bis von  e i n e m  Unrecht nur,
Nur ein wenig sich ausgeglichen,
Sind am Gange der Weltenuhr
Schon Jahrhunderte verstrichen.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band 4, 1869, Seite 204, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Valens und Fridiger.


376 n. Chr. wandte sich der terwingische Feldherr Fritigern mit seinen gotische Kriegerverbänden, die vor der im Vorjahr erfolgten Hunneninvasion zurückwichen, nach Süden auf das römische Reichsgebiet zu und bat den römischen Kaiser Flavius Valens um um Aufnahme. Valens genehmigte die Aufnahme unter der Bedingung, dass Fritigern ihm seine Truppen zur Verfügung stellte. Dieses Epos erzählt diese geschichtliche Begebenheit.

Valens und Fridiger

Eintönig rollt der Donaustrom die Wogen
Durch rauhes Land hinab zum nahen Meer,
Der Himmel ist von Wolken überzogen,
Und lautlos ruht und öd der Strand umher,
Da kommt ein Reiter an’s Gestad geflogen,
Es folgt ihm auf den Höh’n sein Volk, sein Heer;
Er sprengt zum Strom hinab, späht auf und nieder,
Und horcht, und kehrt dann zu den Seinen wieder.

So Tag für Tag, und Tag für Tag entflieht,
Allein der Welle dumpf An’s-Ufer-Schlagen
Durchbricht die Einsamkeit, und näher zieht
Der Gothen Volk heran mit Roß und Wagen.
Dort liegt, dort winkt das römische Gebiet,
Das Land, wohin sie ihre Wünsche tragen,
Wo vor dem Hunnenschwerte, das sie schlug,
Ein Zufluchtsort noch liegt für Heerd und Pflug.

Hinüber, über in das Reich der Sitte,
Der Macht, der Bildung. Erde zum Bebau’n,
Und Feld zu Thaten, das ist ihre Bitte,
Das heischen sie mit eisernem Vertrau’n.
Ihr Feldherr Fridiger — nach langem Ritte
Den Strom entlang, nach stundelangem Schau’n,
Heut’ hält er plötzlich still — was wird sich zeigen?
Scheint aus der Fluth sein Hoffnungstraum zu steigen?

Es ist ein Boot, wie stolz durchfurcht’s den Strom
Im Tact der gleichgeschwung’nen Ruderstreiche!
Und näher kommt’s, ein glänzendes Phantom!
Der Bord voll Goldschmuck, Zierrath und das reiche
Gezelt darüber, Alles zeugt von Rom.
Geheimnißvoll und fast als ob es schleiche,
Als ob es zaud’re, hält es seinen Lauf
Je näher es herankommt mählig auf.

Indeß ist Fridiger vom Pferd gesprungen,
Und hat ein Boot bestiegen, mit ihm sind
Zwei seiner Mannen, rasch sind auch geschwungen
Die Ruder, Schlag auf Schlag und pfeilgeschwind
Ist’s hart bis hin zum Römerboot gedrungen.
Der Fährleut’ langes Haar wallt hoch im Wind,
An ihre nackte Schulter spritzt im Schwalle
Der Strömung Schaum vom harten Widerpralle.

Im Kriegskleid, das den mächt’gen Leib umschloß,
Ragt hier der Gothenheld, ihm gegenüber
Erhebt sich auch der Römer, ernst und groß;
Doch mit gesenktem Haupt, die Stirne trüber,
Im Prunk der Toga, die ihn reich umfloß.
Was zog jetzt seinem innern Schau’n vorüber,
Indem sich aus der Toga seine Hand
Halb wie zum Gruß, halb wie zur Abwehr wand?

Galt’s ihm, ein heilig Bündniß abzuschließen
Mit tapfern Männern, oder einen Kauf
Mit Sclavenhändlern, oder vorzuschießen
Für Blutzins Brod? Argwöhnisch blickt er auf,
Doch wie die Nebel vor dem Licht zerfließen,
So flieht sein Mißtrau’n, als, die Hand am Knauf
Des Schwerts, der Goth’ ihm zuruft, „Heil Dir weiser
Erhab’ner Herr der Erde, Heil Dir, Kaiser!“

So treu und offen schaut der Held darein:
„Dort harrt ein Volk, das tapferste auf Erden“,
Betheuert’ er, „willst Du, so sind wir Dein,
Laß’ in Dein Reich uns, laß uns Freunde werden!
Du weißt, wie wir auch können Feinde sein!
Wir wollen nichts, als nach des Kriegs Beschwerden
Ein Land und Frieden.“ Rief’s und Valens sprach:
„Ja viel litt Rom durch Euch, viel Ungemach!

Doch seine Größe mag nur Großmuth üben,
Erhaben über Furcht und Rachesucht,
Wie nie vermag den Sonnenglanz zu trüben
Der Wolken dunkelnde Vorüberflucht.
Der Erdkreis, wenn ihn auch in Nacht begrüben
Die Donner einer zweiten Fluth, die Wucht
Der Berge, stürzend über uns’re Leichen,
Säh’n uns zwar sterben, aber nicht erbleichen.

Wohlan! es nahe sich Dein Volk und setze
Ein Ziel der langen Flucht, dem Wilde gleich,
Das in dem Tempel Schutz sucht vor der Hetze.
Für Eu’re Waffen bietet Euch dies Reich
Die Wohlthat der Gesittung und Gesetze.
Nach Antiochia! dort wird Euch, zugleich
Mit andern Völkern unser Spruch ergehen,
Dort, Gothe, werden wir uns wiedersehen.

Ich gab Befehl, daß reichlich, was Ihr braucht,
Euch werden soll an Korn und Oel und Schafen.“
Er schwieg und setzte sich, ein Vorhang taucht
Um ihn herab, und seine Rudersklaven
Erheben sich; am Ufer aber raucht
Der Heerd, um den im Wachen wie im Schlafen
Das Volk wohnt unter freiem Himmelszelt,
Das umgestalten wird die halbe Welt.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870 Band V, Seiten 45-47, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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