Wilhelm Jensen


W
Jensen Wilhelm
ilhelm Jensen (* 15. Februar 1837 in Heiligenhafen (Holstein); † 24. November 1911 in München-Thalkirchen) war ein deutscher Lyriker und Schriftsteller.

















Kaiser Heinrich VII. *)


Ballade

1.

Herr Erzbischof, bringt die Krone herbei,
Die alte Krone der Lombardei!

Die alte Krone — wir wissen nicht, wie?
O Herr — doch verschwunden, verloren ist sie.

So ist sie verschwunden, weil Ihr es befahlt!
So ist sie verloren, weil Ihr sie stahlt!

So will eine neue ich, nicht von Gold,
Eine Krone von Stahl, Ihr habt es gewollt.

D‘ran soll nicht blinken Gold noch Stein,
Wie des blanken Schwertes Griff soll sie sein.

Dann sollt Ihr mich krönen mit eisernem Rand,
Und ich will Euch beherrschen mit eiserner Hand!

2.

Zu Buonconvento am Altarrand
Der Kaiser Heinrich der Siebente stand.

Der Priester reicht ihm das Abendmahl —
Er bietet es ihm auf der Schale von Stahl.

Er reicht ihm mit blutrothem Wein den Pokal,
Doch, gleich der Schale, von grauem Stahl.

Der Kaiser stutzt, in‘s Auge faßt
Er scharf das Gefäß; der Mönch erblaßt.

Der Kaiser spricht: Die Kirche ist reich!
Was, achtest Du mich einem Bettler gleich?

Was, hast Du mich weniger achten gewollt!
Dem ärmsten Bettler bietet Ihr Gold.

Der Pfaffe stammelte todtenbleich:
Seitdem Ihr herrscht sind wir nicht mehr reich.

Die Kirche ward arm, sie hat kein Gold —
Ich dachte, o Herr, Ihr hättet‘s gewollt.

Wie die irdische Krone Ihr nahmt von Stahl,
So die Krone des Himmels — das Abendmahl.

Eine Stimme hinter dem Kaiser spricht:
O hütet Euch, Herr, und nehmt es nicht!

Denn Eisen ist falsch, doch Gold verräth,
Wenn heimliche Tücke der Kelch begeht.

Da lacht der Kaiser laut: Nun recht!
Erkennt die Kirche sich endlich als Knecht?

Hat sie gefühlt meine eiserne Hand,
Daß sie sich auch zur Demuth bekannt?

Du irrst Dich, Du treuer Warner, denn sieh‘!
Das Eisen allein betrog mich noch nie.

Gift flog aus manchem goldnen Pokal —
Heil trinkt man allein aus dem Becher von Stahl!

Und Kaiser Heinrich führt ihn zum Mund
Und leert den Becher bis auf den Grund.

Da taumelt er seitwärts, der Becher fällt leer
Zur Erd‘ und die Wimper des Auges fällt schwer.

3.

Im Stahlhemd auf der Todtenbahr‘
Liegt Kaiser Heinrich vor dem Altar.

Er ist nicht mehr von dem Trunk erwacht;
Die Wächter schlafen, ‘s ist Mitternacht.

Da schleicht es unhörbar heran durch den Chor,
Wie unter der Gruftsteinen taucht es empor;

Und über des Kaisers weißes Gesicht,
Da neigt sich ein weißeres noch und spricht:

Was liegst Du so stumm? So sprich doch! Nun recht!
Erkennst Du endlich jetzt Dich als Knecht?

Hast Du Dich auch zur Demuth bekannt?
Hast Du gefühlt der Kirche Hand?

Was liegst Du so stumm? So sprich doch! Ei sieh!
Betrog das Eisen Dich noch nie?

Du irrtest Dich, Freund, die Kirche ist reich
An manchem Metall, dem keines gleich;

Davon ein Tropfen so weiß Dein Gesicht
Verfärbt und Dein Eisen so hurtig zerbricht.

Du Thor, wir beherrschen die Welt mit dem Erz
Und Du glaubtest, ihm trotze Dein sterbliches Herz?

Und riesig unter der Kutte drauf
Aufwuchs die Gestalt und reckte sich auf.

Sie riß aus der Brust pergamentenen Brief
Und entrollte mit flammendem Blick ihn und rief:

Erwacht ihr Blinden! Auf‘s Knie! Auf‘s Gesicht!
Der Statthalter Gottes auf Erden spricht:

Der Himmel hat erhöht seinen Knecht,
An des Schuldigen Haupt seine Kirche gerächt!

Die Seele hat strafend in seinem Mahl
Entrafft der HErr zu endloser Qual!

Hinweg! die den Leib zu hüten ihr sucht,
Hinweg vom Altar! denn der Leib ist verflucht!

Verflucht ist die Lippe, die nach ihm fragt!
Verflucht die Hand, die zu rühren ihn wagt!

Verflucht ist, das ihn hegt, das Haus!
Die heilige Erde speit ihn aus!

Ein Aas für Geier, in Dornen und Stein
Verfaulen im Regen soll sein Gebein!

So erhöret der HErr der Seinen Gebet —
Sein Segen mit Euch! Steht auf und geht — —

Im Stahlhelm auf der Todtenbahr‘
Liegt einsam der Kaiser vor dem Altar.

*) Seit Friedrich Barbarossa hat Deutschland keinen Kaiser gehabt, der größer, ernster, erhabener von seiner kaiserlichen Pflicht gedacht, als Heinrich VII., der Lützelburger. Heftiges Verlangen zog ihn nach Italien, um hier die alten Kaiserrechte wieder geltend zu machen, und er rüstete sich zum Kampfe gegen das mit dem Papstthum und Frankreich eng verbündete Neapel, unbekümmert um die Bulle Clemens‘ V., welche dem Kaiser befahl, sich Neapels zu enthalten, das ein Lehn der Kirche sei und das der Papst, wie er sich ausdrückte, mit besonderer Vorliebe in der Mitte seines apostolischen Herzens trage. Schon war der Kaiser bis über Siena gekommen, als er plötzlich zu Buonconvento unweit des Arno in der Blüthe seiner Jahre starb. Da er unmittelbar zuvor, aus den Händen des Bernardo, eines Dominikaners »aus der getreuen Miliz des Papstes« das heil. Abendmahl empfangen hatte, so entstand der Verdacht, der Mönch habe ihm eine vergiftete Hostie gereicht und ihm in der Speise des himmlischen Lebens den Tod gegeben. —
S. Weber, Lehrbuch der Weltgeschichte I, 766 und Becker, Weltgeschichte VII, 142-138; Anm. d. Red. d. »Salon.«

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band VI, 1870, Seiten 48-50, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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