Paul Heyse


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Paul Heyse
aul Johann Ludwig Heyse, ab 1910 von Heyse (* 15. März 1830 in Berlin; † 2. April 1914 in München) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf Heyse rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen.






Sprüche (1)


Durchschweife frei das Weltgebiet,
Willst Du die Heimat recht verstehn.
Wer niemals außer sich gerieth,
Wird niemals gründlich in sich gehn.
— — — — —
Erdachtes mag zu denken geben,
Doch das Erlebte nur wird leben.
— — — — —
Il monde è paese

Das ist’s, warum sich’s leben läßt
Trotz alledem auf dieser Erden:
Die Welt ist überall ein Nest,
Doch jedes Nest kann eine Welt Dir werden.
— — — — —
Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen,
Was soll es frommen?
Wer nicht wagen darf, sich gehn zu lassen,
Wird nicht weit kommen.
— — — — —
Was ist nur all der Plunder werth,
Den Ihr von außen zusammenkehrt?
Dem weiten Kreise, mit dem ihr prunkt,
Fehlt’s ewig doch am Mittelpunct.
— — — — —
Sie glauben, alles Heil sei nur
Zu finden in ihrem Orden.
Wer im Käfig gebrütet worden,
Dem scheint sein Drahtgeflecht Natur.
— — — — —
Verschied’ne Ziele? Böses Spiel,
Doch können wir uns noch gelten lassen.
Verschied’ne Wege zu gleichem Ziel?
Da hilft kein Gott, — wir müssen uns hassen.
— — — — —
In Zeiten voll politischem Zank
Soll man der Poesie entsagen?
Verbietet, wenn die Kartoffeln krank,
Den Pfirsichen, Frucht zu tragen!
— — — — —
Der Künstler schaff’ um seinetwillen,
Gleichviel, ob man ihn lobt und liebt?
Wohl! Doch er fordert eins im Stillen:
Daß Welt und Leben ihn umgiebt.

Auf Prospero’s einsamer Insel,
Und fehlte selbst Miranda nicht,
Berührte Tizian keinen Pinsel,
Petrarca schriebe kein Gedicht.
— — — — —
„Ich bin ein Anfänger, Sie verzeihn;
Ich hoffe, Sie werden mich belehren. —“
Anfänger möchtet Ihr immer sein,
Wenn Ihr nur lerntet, aufzuhören.
— — — — —
„Aufmunterung braucht jedes Kind,
Sein kleines Lichtchen zu entflammen.“ —
Auf dem Parnaß weht scharfer Wind,
Der löscht die Lichtchen und schürt die Flammen.
— — — — —
„Wie aber zügl’ ich mein Talent?
Es treibt mich ruhlos wie im Fieber.“
So thut, was Ihr nicht lassen könnt;
Doch läßt sich’s lassen, laßt es lieber!
— — — — —
Du sollst mit Deine Schmerzen singen,
Denn auch das Leid erweckt mir Lust,
Hör’ ich die tiefen Töne dringen
Aus hartgewöhnter Mannesbrust.

Doch wahrlich, kein Gesang ist schlimmer,
Kein Ton, der so an Windeln mahnt,
Als jenes zärtliche Gewimmer
Des Lyrikers, der ewig zahnt.
— — — — —
Wer sein Gedicht erklärt,
Verräth geheime Schwächen.
Ist es der Rede werth,
Wird’s für sich selber sprechen.
— — — — —
Charaktere müssen im Lustspiel sein,
Nicht bloßer Witz, wie keck er sprühe.
Thut ein Stück Fleisch in den Topf hinein;
Das Salz allein giebt schlechte Brühe.
— — — — —
Versuch’s und übertreib’s einmal,
Gleich ist die Welt von Dir entzückt;
Das Grenzenlose heißt genial,
Wär’s auch nur grenzenlos verrückt.
— — — — —
Thorheit behält das Reich
Und Wahrheit wird Verbrechen.
Da ist’s ein dummer Streich,
Ein kluges Wort zu sprechen.
— — — — —
„Warum ist der Wicht so süffisant?“ —
Er ist ein Lump aus zweiter Hand.
— — — — —
„In der Zeitung las ich soeben
Ein sehr perfides Pasquill auf Dich.“ —
So haben sie mir’s schriftlich gegeben,
Daß sie kleiner und schlechter sind, als ich.
— — — — —
„Warum hältst Du Dich uns so fern?
Eine Lieb’ ist der andern werth?“ —
Ich würd’ Euch lieben herzlich gern,
Wenn Ihr nur liebenswürdig wär’t.
— — — — —
So lang Du schimpfst und tobst und bellst,
Bleibst Du dem Volk erfreulich,
Doch wenn Du einfach Recht behältst,
Finden Sie’s unverzeihlich.
— — — — —
Mit Deinem mündlichen Schwadroniren,
Mein Freund, pfleg’ ich mich kurz zu fassen.
Soll ich Dich plötzlich respectiren,
Seit Du den Bafel drucken lassen?
— — — — —
Daß man mir sein Müthchen kühle,
Das sei Euch herzlich gern gegönnt;
Doch daß ich mich durch Euch beleidigt fühle,
Ist mehr als Ihr verlangen könnt.
— — — — —
„Auf diesen Mann hohnlästerst Du,
Der doch von Dir mit Achtung spricht?“ —
Er hat vielleicht Grund dazu,
Ich leider nicht.
— — — — —
„Seltsam, daß er’s nicht weiter bringt
Und weder stark wird, weder groß,
Da Alles doch sein Ich verschlingt!“ —
Das Ich ist eben bodenlos.
— — — — —
Gewisser Leute Bann und Acht
Hat nie mich Wunder genommen.
Ich hab’ ihnen den Verdruß gemacht,
Ohne sie durch die Welt zu kommen.
— — — — —
„Fruchtbares wär’ ich ganz gewiß,
Wenn mir’s nur nicht an Stoffen fehlte.“ —
Die Schatten nahn Dir, wie Ulyß,
Nur fehlt’s am Blut, das die beseelte.
— — — — —
Voltaire

Ihr sagt, daß er der Höll’ entstammt,
Und könnt ihm doch nicht schaden.
Er ist, so heftig Ihr ihn verdammt,
Ein Teufel von Gottes Gnaden.
— — — — —
„Was lehrt das Leben“ Gieb
Mir bündigen Bescheid!“ —
Hingeben, was Dir lieb,
Hinnehmen, was Dir leid.
— — — — —
Durch Trinken loben wir den Wein
Und schönen Mund durch Küssen.
Was könnt’ auch wohl beredter sein,
Als so verstummen müssen?

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band I, 1867/68, Seiten 455-457, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Sprüche (2)


Wer sich an Andre hält,
Dem wankt die Welt.
Wer auf sich selber ruht,
Steht gut.
—————
Die Lebenskunst ist die frei‘ste der sieben.
Die sie am ernstlichsten betreiben,
Werden oft darin Stümper bleiben,
Dilettanten sie als Meister üben.
—————
Der Strom der Thränen ist nicht helle,
Doch wäscht man Gold aus seiner Welle.
—————
Wen die Götter lieben,
Segen sie mit Leiden,
Mit der glüh‘nden Seele,
Die den Schmerz versteht.
Lust treibt taube Blüthen,
Doch ein edles Leiden
Schaffet, daß ein Leben
Reich in Garben steht.
—————
Es ist ein Trost in mancher Noth,
Zu denken, das lumpige Leben
Sei ein Contract mit dem lieben Gott,
Einseitig aufzuheben.
—————
Wenn sich die Sprüche widersprechen,
Ist‘s eine Tugend und kein Verbrechen.
Du lernst nur wieder von Blatt zu Blatt,
Daß jedes Ding zwei Seiten hat.
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So viel Verdienste Du Dir erwirbst,
So viel Dir Gut und Muth beschieden,
Wenn Du es mit den Philistern verdirbst,
Dann wehe Deinem Frieden!
—————
Ich denke mit Gewissensbissen
Zurück, wie ich mein Lebenlang
Vorbeiging, fastend, an gewissen Bissen,
Die ein viel Schlechterer verschlang.
—————
Den Kritikern.

Nur nicht gleich das Schwert gewetzt
Und das Beil geschliffen!
Was Ihr niemals überschätzt,
Habt Ihr nie begriffen.
—————
Das Trauerspiel hat einen bösen Stand.
Es lebt sich heute ja ganz charmant.
Sein Huhn im Topf hat Jedermann,
Aufklärung schreitet strack voran,
Mit Dampf bequem für wenig Geld
Durchfährt man alt‘ und neue Welt,
Ißt aller Zonen Leckerbissen,
Kann aller Nationen Töchter küssen,
Und wenn dann satt des Abends spät
Der Biedermann in‘s Theater geht,
Wie soll‘s ihm nicht absurd erscheinen,
Wenn ein Held, ohn‘ eine Thräne zu weinen,
Dem lustigen Leben den Rücken kehrt,
Als wär‘s keine trockne Bohne werth?
—————
Gegen Herzlose kannst Du Dich schützen,
Gieb ihnen nur Dein Herz nicht preis.
Geistlose magst Du auch wohl nützen,
Da Mancher Manches kann und weiß.
Aber wenn  T a c t lose Dich umringen,
Das wird Dich zur Verzweiflung bringen.
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Der eignen Nase nachzugeh‘n,
Möcht‘ Jedermann erlaben.
Nur darin wird die Kunst besteh‘n
Eine eigne Nase zu  h a b e n.
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Du wirst der Leute Lieb‘ und Gunst,
Zumal der Bessern, bald verlieren,
Bist Du nicht Meister in der Kunst,
Mit Anstand Dich zu ennuyiren.
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Memento vivere.

Wer stets den Tod vor Augen hat,
Dem wird die frohe Welt erblassen.
Ein trister Ehbund in der That,
Wo man nur denkt an‘s Scheidenlassen.
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Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band VI, 1870, Seiten 161-162, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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