Heinrich Heine


H
Heine Heinrich
einrich Heine, geboren am 13. Dezember 1797 als Harry Heine in Düsseldorf, Herzogtum Berg, gestorben am 17. Februar 1856 in Paris, war einer der wichtigsten deutschen Dichter, Journalisten und Schriftsteller.







Gedanken und Einfälle.


   Der Gedanke ist die unsichtbare Natur, die Natur der sichtbare Gedanke.

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   Wie Mancher ging aus, die Kirche zu schmähen, zu befeinden, und änderte plötzlich seinen Sinn und kniete nieder und betete an. Es ging Manchem wie Bileam, dem Sohne Boer’s, der Israel zu fluchen auszog und gegen seine Absicht es segnete. Warum? Und doch hatte er nur die Stimme eines Esels gehört.

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   Seid ganz tolerant oder gar nicht, geht den guten Weg oder den bösen; um am Scheidewege zagend stehen zu bleiben, dazu seid Ihr zu schwach — dies vermochte kein Herkules, und er mußte sich für einen der Wege bald entscheiden.

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   Die Juden, wenn sie gut sind, sind sie besser, wenn sie schlecht, sind sie schlimmer als die Christen.

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   Es sind in Deutschland die Theologen, die dem lieben Gott ein Ende machen — on n’est jamais trahi que par les siens.

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   Jede Religion gewährt auf ihre Art Trost im Unglück. Bei den Juden die Hoffnung: „Wir sind in der Gefangenschaft, Jehova zürnt uns, aber er schickt einen Retter.“ Bei den Mahomedanern Fatalismus: „Keiner entgeht seinem Schicksal, es steht oben geschrieben auf Steintafeln, tragen wir das Verhängte mit Ergebung, Allah il Allah!“ Bei den Christen spiritualistische Verachtung des Angenehmen und der Freude, schmerzsüchtiges Verlangen nach dem Himmel, auf Erden Versuchung des Bösen, dort oben Belohnung. — Was bietet der neue Glaube?

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   Ein Buch will seine Zeit, wie ein Kind. Alle schnell in wenigen Wochen geschriebenen Bücher erregen bei mir ein gewisses Vorurtheil gegen den Verfasser. Eine honette Frau bringt ihr Kind nicht vor dem neunten Monat zur Welt.

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   In der Kunst ist die Form Alles, der Stoff gilt Nichts. Staub berechnet für den Frack, den er ohne Tuch geliefert, denselben Preis, als wenn ihm das Tuch geliefert worden. Er lasse sich eben die Façon bezahlen und den Stoff schenke er.

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   Die Daguerreotypie ist ein Zeugniß gegen die irrige Ansicht, daß die Kunst eine Nachahmung der Natur sei. — Die Natur hat selbst den Beweis geliefert, wie wenig sie von Kunst versteht, wie kläglich es ausfällt, wenn sie sich mit Kunst abgiebt.

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   Man preist den dramatischen Dichter, der es versteht, Thränen zu entlocken. — Dieses Talent hat auch die kümmerlichste Zwiebel, mit dieser theilt er seinen Ruhm.

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   Die wehmüthig niedergedrückte Zeit, der alles Laute untersagt war und die sich auch vor dem Lauten fürchtete, gedämpft fühlte, dachte und flüsterte, fand in dieser gedämpften Poesie ihre gedämpfte Freude. Sie betrachtete die alten, gebrochenen Thürme mit Wehmuth und lächelte über das Heimchen, das darin melancholisch zirpte.

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   In der Zeit der Romantiker liebte man in der Blume nur den Duft — in unserer Zeit liebt man in ihr die keimende Frucht. Daher die Neigung zum Practischen, zur Prosa, zum Hausbackenen.

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   In der Poetenwelt ist der tiers état nicht nützlich, sondern schädlich.

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   Man weiß nicht, warum unsere Fürsten so alt werden — sie fürchten sich zu sterben, sie fürchten in der andern Welt den Napoleon wieder zu finden.

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   Wo das Weib aufhört, fängt der schlechte Mann an.

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   Daß der Gatte Xantippe’s ein so großer Philosoph geworden, ist merkwürdig. Während allem Gezänk noch denken! Aber  s c h r e i b e n  konnte er nicht, das war unmöglich: Sokrates hat kein einziges Buch hinterlassen.

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   Jeder, wer heirathet, ist wie der Doge, der sich mit dem Adriatischen Meer vermählt - er weiß nicht, was drin, was er heirathet: Schätze, Perlen, Ungethüme, unbekannte Stürme.

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   Neben jeder Krippe, worin ein Heiland, eine welterlösende Idee, den Tag erblickt, steht auch ein Ochse, der ruhig frißt.

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   Wir begreifen die Ruinen nicht eher, als bis wir selbst Ruinen sind.

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   Größer als alle Pyramiden, als der Himalaya, als alle Wälder und Meere, ist das menschliche Herz — es ist herrlicher als die Sonne und der Mond und alle Sterne, strahlender und blühender — es ist unendlich in seiner Liebe, unendlich wie die Gottheit, es ist die Gottheit selbst.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seiten 166-168, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Guter Rath.


   Gieb ihren wahren Namen immer
In Deiner Fabel ihren Helden.
Wagst Du es nicht, ergeht’s Dir schlimmer:
Zu Deinem Eselbilde melden
Sich gleich ein Dutzend graue Thoren —
„Das sind ja meine langen Ohren!“
Ruft Jeder, „dieses gräßlich grimme
Gebreie ist ja meine Stimme!
Der Esel bin ich! Obgleich nicht genannt,
Erkennt mich doch mein Vaterland,
Mein Vaterland Germania!
Der Esel bin ich! I-A! I-A! —“
Hast einen Dummkopf schonen wollen,
Und zwölfe sind es, die Dir grollen.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 165, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Lied.


   Wenn junge Herzen brechen,
So lachen drob die Sterne,
Sie lachen und sie sprechen
Herab aus der blauen Ferne:

   „Die armen Menschen lieben
Sich zwar mit vollen Seelen,
Und müssen sich doch betrüben,
Und gar zu Tode quälen.

   „Wir haben nie empfunden
Die Liebe, die so verderblich
Den armen Menschen drunten;
Drum sind wir auch unsterblich.“

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 164, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Warnung.


   Verletze nicht durch kalten Ton
Den Jüngling, welcher dürftig, fremd,
Um Hülfe bittend zu Dir kömmt —
Er ist vielleicht ein Göttersohn.

   Siehst Du ihn wieder einst, sodann
Die Gloria sein Haupt umflammt:
Den strengen Blick, der Dich verdammt,
Dein Auge nicht ertragen kann.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 165, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Wo?


   Wo wird einst des Wandermüden
Letzte Ruhestätte sein?
Unter Palmen in dem Süden?
Unter Linden an dem Rhein?

   Werd’ ich wo in einer Wüste
Eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh’ ich an der Küste
Eines Meeres in dem Sand?

   Immerhin! Mich wird umgeben
Gotteshimmel, dort wie hier,
Und als Todtenlampen schweben
Nachts die Sterne über mir.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 166, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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Zum „Lazarus.“


   Stunden, Tage, Ewigkeiten
Sind es, die wie Schnecken gleiten;
Diese grauen Riesenschnecken
Ihre Hörner weit ausrecken.

   Manchmal in der öden Leere,
Manchmal in dem Nebelmeere
Strahlt ein Licht, das süß und golden
Wie die Augen meiner Holden.

   Doch im selben Nu zerstäubet
Diese Wonne, und mir bleibet
Das Bewußtsein nur, das schwere,
Meiner schrecklichen Misère.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft 1870, Band V, Seite 165, Herausgeber: E. Dohm & J. Rodenberg, Verlag von A. H. Payne, Leipzig

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