Fried Kalser - Frida Kalischer


Frida Kalischer wurde am 12. März 1883 als Frida Cohn in Berlin geboren. Als sie 6 Jahre alt war, heiratete ihre Mutter Hedwig Cohn den Mann ihrer verstorbenen Schwester (Frida Buki) Prof. Kalischer. Er hatte in Breslau jüdische Theologie, später Physik und Chemie studiert. Hochgebildet war er jahrelang Präsident der Goethe-Gesellschaft und publizierte philosophisch-theologische Werke. Frida Kalischer stammt somit aus einem typischen jüdischen Professorenhaushalt.
Ihre Spuren in Berlin lassen sich anhand der Berliner Adressbücher zurückverfolgen. Von 1909 bis 1935 wohnte sie in der Konstanzer Straße 1 (bis 1928 gemeinsam mit der Familie ihres Stiefvaters Dr. Salomon Kalischer, der Professor für Physik an der Technischen Hochschule Charlottenburg war und sie an Kindes Statt angenommen hatte). Von 1936 an ist ihr Name in der Paulsborner Straße 80 zu finden. Warum sie 1939 in die Auerbachstraße 2 umzog – zu jener Zeit war es für jüdische Menschen schwierig, eine Wohnung zu finden – ist unbekannt. Möglicherweise lag es daran, dass die ebenfalls jüdische Hausbesitzerin Elise Freund, die zumindest 1938 und 1939 selbst in dem Haus wohnte, sie als Mieterin aufnahm.
Frida Kalischer bewohnte in der Auerbachstraße 2, Berlin Grunewald, 4½ Zimmer mit Balkon, für die sie 180 Reichsmark Miete an Frau Dr. Freund in Jerusalem zu zahlen hatte. Offenbar hatte Eliza Freund es geschafft, der Judenverfolgung nach Palästina zu entkommen.
Frida Kalischer stand bis 1942 als Mieterin im Adressbuch, ab 1943 nicht mehr. Denn am 14. Dezember 1942 wurde sie deportiert. Ein Jahr und zwei Monate lang hatte sie aus nächster Nähe miterleben und oft mit ansehen müssen, wie seit dem 18. Oktober 1941 massenhaft Berliner Juden in langen Marschkolonnen oder in Lastwagen ankamen, am Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald in Züge gepfercht und abtransportiert wurden. Eines Tages kam sie selbst auf die Deportationsliste und musste eine Vermögenserklärung abgeben, die einige Aufschlüsse über ihr Leben gibt und belegt, wie skrupellos sich die Nationalsozialisten am Eigentum der Juden bereicherten.
In die Vermögenserklärung trug Frida Kalischer in die Spalte Staatsangehörigkeit »Preussen, Deutschland« ein, was ungewöhnlich war. Unter Familienstand schrieb sie »ledig«, bei Beruf« »ohne«. In ihrer geräumigen Wohnung hatte sie drei Untermieter untergebracht: Annelies Heuser, die mietfrei ein Zimmer bewohnte, sich aber Ende 1942 in einem Krankenhaus befand, und das Ehepaar Lothar und Charlotte Chodziem, das 1½ Zimmer zur Verfügung hatte und 72 Reichsmark anteilige Miete zahlte. Ihn kennzeichnete Kalischer als »Jude« und sie als »arisch«. Diese von den Nazis so genannte »Mischehe« dürfte ihm das Leben gerettet haben, sie »wandern nicht aus«, schrieb Kalischer in das Formular.
Frida Kalischer war eine gebildete und, nach damaligen Verhältnissen, wohlhabende Frau. Ihr Vermögen und der Wert ihrer Einrichtung wurde 1942 auf 75.000 Reichsmark geschätzt, wovon ihr schon 15.692,50 RM als »Reichsfluchtsteuer« abgenommen wurden. Sie besaß einen dreiteiligen Bibliothekschrank aus Eichenholz mit 150 Büchern und ein weiteres Regal mit 250 bis 300 Büchern, die teilweise »jüd. Inh.« hätten, notierten die amtlichen Plünderer im Gewand von Gerichtsvollziehern.
Am 13.12.1942 wurde sie zunächst ins Sammellager an der Hamburger Straße gebracht und von dort wieder auf den Vorplatz des Bahnhofs Grunewald getrieben. Ziel des mit mehr als 800 Menschen besetzten Zuges, von den NS-Behörden als 25. Osttransport eingruppiert, in dem auch sie saß, war Auschwitz, wo Frida Kalischer im Alter von 60 Jahren am Silvestertag 1943 ermordet wurde. Mit anderen Worten: sie hat die Hölle von Auschwitz ein Jahr lang ertragen müssen. Eine am Gleis 17 eingelassene Gedenkplatte weist fälschlicherweise für den am 13.12.1942 gestarteten Zug Riga als Ziel aus.
In den Adressbüchern seit 1935 war Frida Kalischer wechselweise als Frida und als Frieda eingetragen, nur im Jahr 1937 merkwürdigerweise nicht. Am 17.5.1939, als eine Volkszählung stattfand, ließ sie sich als Frida - ohne das e - registrieren.
Bekannt geworden ist ihr Buch »Der Stern über der Schlucht«, das 1920 im Erich Reiß Verlag, damals einem der führenden deutschen Literaturverlage, erschien. Sie schrieb es unter dem Künstlernamen Fried Kalser. Der Name Kalser deutet auf ihren gleichaltrigen Stiefbruder, Dr. Erwin Kalischer hin, der als Literaturwissenschaftler, Schauspieler und Regisseur Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin, Zürich und den USA bekannt war. Er nannte sich später Erwin Kalser. Ob Frida Kalischer weitere Bücher verfasst hat, ist bisher nicht bekannt.
Am 15. Oktober 2014 wurde für Frida Kalischer vor dem Gebäude in der Auerbachstraße 2, Berlin Grunewald, ein Stolperstein verlegt.

Quelle: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/auerbachstr/2/frida-kalischer

Der Stern über der Schlucht


Roman aus dem Jahr 1920

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etrieben von seelischen und körperlichen Schmerzen verbringen Christine und ihre erwachsene Tochter Andrea einen erinnerungsschweren Sommer in den Bergen an einem See. Nach dem überraschenden Tod ihres lebensfrohen Mannes Felix verlor Christine auch noch ihre geliebte Stieftochter Sybille. Dies führte bei Christine zu einem völligen nervlichen Zusammenbruch. Andrea, die ursprünglich den munteren und freudigen Charakter ihres Vaters geerbt hatte, wurde durch das Leiden ihrer Mutter stark beeinflusst. Christines Kummer übertrug sich auf Andrea, sodass auch deren Leben durch seelische und körperliche Schmerzen zerrüttet wurde. In diesem Zustand fliehen beide in die Berge, suchen Erholung und ärztliche Unterstützung, werden jedoch durch ihre Erinnerungen schwer belastet. Für Andrea ändert sich die Situation, als der Deutsch-Italiener Oswald Roques in unmittelbarer Nachbarschaft ebenfalls seinen Urlaub beginnt. Zwischen Andrea und Oswald entwickelt sich eine tiefe, geheime Liebe mit starker seelischer und körperlicher Anziehungskraft, die mit der fortlaufenden Urlaubszeit immer intensiver wird. Dabei gewinnt Andrea ihre alten, lebensfrohen Eigenschaften zurück. Doch beiden ist klar, dass Oswald aus Verantwortung gegenüber seinen kleinen Kindern seine Ehe nicht für Andrea beenden wird. Als Oswalds Urlaub sich dem Ende zuneigt, gipfelt die Liebe zwischen den beiden in der letzten Nacht. Am nächsten Tag ist Andrea hin- und hergerissen zwischen der Freude über ihre Liebe - obwohl Oswald abgereist ist - und der Sorge, in die seelischen und körperlichen Schmerzen aufgrund des Leidens ihrer Mutter zurückzufallen. In der folgenden Nacht, während eines Unwetters, befindet sich Andrea in den Bergen am Rand einer Schlucht. Die tiefe, dunkle Schlucht symbolisiert das Leiden ihrer Mutter und ihr eigenes Leiden. Doch dann sieht sie in ihrem Geiste einen strahlenden Stern über der Schlucht. Überglücklich erkennt Andrea darin die Zukunft ihres Lebens: mag die Schlucht noch so dunkel sein, das Wetter noch so schlecht, der Stern strahlt über der Schlucht, nichts löscht ihn aus.

1920 bewirbt der Verlag Erich Reiß, Berlin, im "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel", Leipzig, 87. Jahrgang, Nr. 165, 27. Juli 1920, diesen Roman mit folgendem Text:
In diesem Erstlingswerk ist ein Frauenschicksal mit der edlen Sachlichkeit klassischer deutscher Epik berichtet. Milieu und Tradition scheinen die Entwicklung dieses Frauenlebens vorgezeichnet zu haben. Und doch kommt in diese Auffassung einer absolut Kleistischen Gefühlswelt ein ganz neues zeitempfundenes Moment: die Ich-Zerissenheit, diese moderne Krankheit, aus der Andreas' große Sehnsucht herauswächst, um endlich in der Begegnung mit einem feinsinnigen Manne den Zusammenschluß von Seele und Sinnen zu erleben und trotz Verzicht, Trennung und Rückkehr in das einsame Eigenschicksal das Glück letzter Gläubigkeit und innerer Erfüllung daraus zu schöpfen.

Im "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel", Leipzig, 87. Jahrgang, Nr. 122, 7. Juni 1920, wird der Roman wie folgt angekündigt:
Eines Mädchens Kindheit, vom Streit der Eltern vergiftet, setzt sich in liebeloser Jugend fort. Da tritt ihr Rettung in Gestalt eines Mannes entgegen. Doch eine Welt von Pflichten und Rücksichten fordert Verzicht. Glanz und Liebe aber geben sie einander mit auf den Weg, als Sterne weiterleuchtend über der Schlucht ihrer dunklen Leben. — Alltäglich sind diese äusseren Ereignisse. Aber die Gestalt, Farbe und Form, die der Verfasser ihnen gegeben hat, haben ein Kunstwerk hohen Ranges entstehen lassen. Dieses Buch von Liebe, Verzicht und Erinnerung werden besonders die Frauen in tiefer Ergriffenheit lesen.

Eine Rezension von Hans Christoph Ade, München, wird in der Zeitschrift „Das literarische Echo“, Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, begründet von Dr. Josef Ettlinger, herausgegeben von Dr. Ernst Heilborn, 23. Jahrgang, Oktober 1920 - Oktober 1921, auf Seite 884 aufgeführt:
Was diesen Roman vor vielen andern hervorhebt, ist die große Gewähltheit seines Geschehens sowohl wie seiner Sprache. Hier ist alles bezwungen, alles zu Kunst gebändigt, alles gestaltet und durchseelt mit immer gleicher Wachheit schöpferischer Liebe. Der alltägliche Leser wird vielleicht nicht auf seine Kosten kommen, wer aber Genuß an seiner Prosadichtung der Dichtung wegen haben kann, der wird das Buch dankbar und ergriffen aus der Hand legen.

Mit großem Stolz präsentiert stimm-los die erste und einzige Neuauflage dieses verschollenen Werkes. Frida Kalischer, von den Nazis 1943 ermordet, erhält 81 Jahre nach ihrem Tod endlich wieder eine Stimme.

Transkription, 23.683 Wörter
Wiedergefundene Perlen der Literatur Nr. 94, 1. Auflage, 2024

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