Friedrich Rückert


Fri
Friedrich Rueckert
edrich Johann Michael Rückert (* 16. Mai 1788 in Schweinfurt; † 31. Januar 1866 in Neuses; Pseudonym Freimund Raimar, Reimar oder Reimer) war ein deutscher Dichter, Sprachgelehrter und Übersetzer sowie einer der Begründer der deutschen Orientalistik. Rückert beschäftigte sich mit mehr als 40 Sprachen und gilt als Sprachgenie. Zu seinem Freundeskreis zählten der Dichter August von Platen, der Philosoph Friedrich von Schelling und der Universalgelehrte Johann Wilhelm Andreas Pfaff. Rückert ist Namensgeber des Friedrich-Rückert-Preises und des Coburger Rückert-Preises.




Vogelschälle


Aus dem ungedruckten Nachlaß von Friedrich Rückert

1.

Auf wög’ eine Nachtigall
Allen diesen Vogelschall,
Doch hat ihr’s hier zu wohnen nicht gefallen:
So mögen sie denn schallen
Mit ihren Stimmen allen
Ersatz für eine Nachtigall.

2.

Als in meinem Garten eine Nachtigall sang,
Gleich legt ihr der Nachbar eine Schlinge zum Fang.
Er konnte sie hören so gut als ich,
Aber er wollte sie haben für sich.
Ich ließ ihn fragen, was er begehrt’,
Daß er sie weg nicht fange?
Er sprach, und besann sich nicht lange:
Sie ist unter Brüdern einen Thaler werth.
So kauft’ ich ihm denn meine Nachtigall ab,
Indem ich den brüderlichen Thaler ihm gab.
Nachbar, ich bin betrogen:
Dein Thaler, der ist hier,
Doch sie ist weggeflogen,
Weiter nach Norden gezogen,
Es gefiel ihr nicht bei mir:
Oder vielleicht mocht’ ihr bangen,
Du möchtest sie doch noch fangen,
Ueber kurz oder lang, wenn Dir
Der Thaler ausgegangen.

3.

Horch!
Hör ich klappern den Storch?
Armer Storch, Du bist übel dran
Dieses Jahr. Als Du zuerst kam’st an
Zur gewohnten Zeit auf dem alten Dach,
Sollten Deiner Rechnung nach,
Um Frösche zu fangen
Und Wasserschlangen,
Dir offen stehen Teich und Bach;
Doch mit verschlossenen Thoren
Standen sie eingefroren;
Und wolltest Du nicht erfrieren
Mußtest Du südwärts retiriren.
Wir fragten beklommen:
Wird er wiederkommen,
Oder hat sein Quartier
Wo anders er genommen?
Doch vergaßen wir
Alter Lieb’ und Gewohnheit Macht,
Und über Nacht
Warst Du wieder hier,
Und der Frühling mit Dir.
Auf einmal erstand die todte Flur,
Der Winter zog ab ohne Spur,
Alles lebte zugleich,
Auch für den Storch der Frosch im Teich.
Da ging er nun auf die Jagd ohne Feiern,
Sein Weib saß schon brütend auf den Eiern
Da brach, o Graus
Ihm gegenüber ein Feuer aus,
Fraß Haus um Haus,
Und sandte die glühenden Funken aus,
Auch zu ihnen über
Die Gass’ hinüber,
Daß bald des Nestes Reiserwand
In Flammen stand;
Doch die Kraft der Spritzen überwand,
Mit reichlichem Träufen
Den Brand zu ersäufen.
Die Störchin saß fest
auf ihrem Nest,
Halb verbrannt und halb ersoffen;
Ihm blieb die Flucht noch offen;
Wir sah’n ihn lange noch hohe
Kreise zieh’n
In der Luft voll Flammenlohe,
Dann aber flieh’n,
Wie von einem Pfeil getroffen,
Ueber Berg und Thal,
Gewiß mit Qual,
Wie je nur ein Abgebrannter flohe
Den gleiches Loos betroffen,
Zu verlieren Kind und Gemahl.
Und ob er nun zum dritten Mal
Wird kehren, wo ihn dreifach bedroht
Hat Eis-, Feuer- und Wassersnoth,
Wagen wir kaum zu hoffen.

4.

Wenn die träumende Flur noch schweigt,
Kommt zuvor dem weckenden Tag
Der Amsel Schlag,
Und die schwirrende Lerche steigt,
Um zu haschen von Berg und Thal
den ersten Strahl.

Eh’ Du denkest an Speis’ und Trank
Flügelt Andacht Dich empor,
Im Schöpfungschor
Auszuströmen Preis und Dank;
Trag’ am offnen Himmelsthor
Auch meinen vor!

5.

Kleine Vöglein aller Arten
Will ich aus des Nachbars Garten
So durch Körnchen, Krümchen, Brocken
All’ zu mir herüber locken;
Nicht als ob nicht eben gerne
Ich sie hört’ auch aus der Ferne,
Sondern weil vor Mord und Raube
Ich bei mir sie sich’rer glaube.

6.

Kann es dieselbe Drossel sein,
Die ich gehört bei Sternenschein,
Und nun am frühen Tage
Höre mit gleichem Schlage?

Sie kann doch auf des Schlafes Gaben
Nicht haben ganz verzichtet:
Sie muß im Traume gesungen haben,
Wie ich im Traume gedichtet.

Quelle: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Band I, 1867/68, Seiten 150-152, Herausgeber: Ernst Dohm und Julius Rodenberg; Verlag von A. H. Payne, Leipzig